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Aufstand der Gewerkschaften

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Widerstand gegen die "Reform" des Arbeits- und Sozialrechts in Frankreich

En France, les médias sont vraiment pourris : la CGT et le PCF lourdement condamnés, personne n’en parle! 

In Frankreich geht es nicht nur um Fußball, sondern um eine „Reform“ des Arbeits- und Sozialrechts, die von Schröder/Fischer („Agenda 2010“) abgekupfert scheint. Tatsächlich hat der französische Industriellenverband MEDEF die Feder für den „sozialistischen“ Präsidenten François Hollande und seiner gleichgesinnten Minister Valls, El Khomri und Macron geführt: betriebliche Verlängerung der Arbeitszeit (bis jetzt 35 Stunden/Woche) und Kürzung der Überstundenzuschläge; das auf-den-Kopf-stellen von Gesetz und Betriebsvereinbarung: Was im Betrieb abgepresst wird, gilt vor der gesetzlichen Grenze; eine Deckelung „übermäßiger“ Abfindungen vor Arbeitsgerichten; eine Verschlechterung der Altersbezüge…  Die Liste ließe sich verlängern.
Der Aufstand von Gewerkschaften – allen voran die CGT, hierzulande als „kommunistisch“ diffamiert – und die Verweigerung des Gefolges durch zahlreiche Abgeordneter der PS (Sozialisten) hat Hollande gezwungen, mit einem Gesetzeserlass das Parlament zu umgehen. Diese umstrittene außergewöhnliche Vollmacht rief vor allem die Jugend auf den Plan, die nach spanischem Muster auf öffentlichen Plätzen Staat und Gesellschaft grundsätzlich in Frage stellen (Aufstehen in der Nacht). Bei genauerem Studium ist die Verfassung der V. Republik das Wunschbild des Türken Erdogan und wurde von den Sozialisten, wenn sie nicht im Amt waren, heftig kritisiert.



code sanglant réduit 




Im rechtskonservativ dominierten Senat (zweite Kammer) herrscht seither ein eigenartiger Wettbewerb, wer wohl die unternehmerfreundlichsten Regelungen formuliert – die Rechte („Republikaner“) oder die Sozialisten (SP). Die Linksfront kann diesem Spiel auf dem Rücken der Bevölkerung vor allem den Protest „der Straße“ entgegensetzen. Und der hält an, Fußball hin oder her. Nach bekanntem Muster werden trotz tausender „friedlicher“ Demonstranten regelmäßig Bilder produziert, die das Ganze als anarchische Schlacht darstellen. Wer immer davon profitiert – in der Vergangenheit gab es diese Provokateure so gut wie nicht.

Die Gewerkschaften sind seit langem gespalten. Hoffnungsträger für die Regierenden ist u.a. die CFDT, eine ursprünglich christliche Gewerkschaft, die CFTC (leitende Angestellte) und andere kleine Gruppierungen. Mit dieser Spaltung und dem geringen Organisationsgrad (rund 8%) wird Politik gemacht: „Teile und herrsche“. Allerdings ist der Widerstand auf erheblich breiterer Basis.
Im Grunde sind die arbeitenden Menschen und die Arbeitslosen in Frankreich ähnlich wie in Spanien, Portugal, Italien und in anderen europäische Länder Opfer deutscher Politik: Die Absenkung der Sozialstandards (Hartz IV, Agenda 2010) in Deutschland und die Kollaboration von Teilen der deutschen Gewerkschaften mit Regierung und Wirtschaft hat einen „Wettbewerbsvorteil“ bei den Lohn- und Sozialkosten bewirkt, der aufgrund der extremen Exportorientierung europäische Ungleichgewichte vertiefte. „Die Franzosen“ müssen jetzt deutsche Lohnzurückhaltung, Zerschlagung des Normalarbeitstages (Befristungen, Leiharbeit), viel zu hohe Arbeitszeiten (Durchschnitt 41,5 Std/Woche) und Rente ab 67 ausbaden. Französische Wirtschaftsverbände, Publizisten, neoliberale Ökonomen (es gibt kaum andere) loben Deutschland als leuchtendes Vorbild, soweit es ihnen in den Kram passt.


loitravail 


Der Protest, die politischen Streiks und aufmüpfige Schüler und Studenten werden Spuren hinterlassen, gleich wie die Schlacht ausgeht. Der EU-Abgeordnete Jean-Luc Mélanchon befürchtet zu Recht, dass selbst mit einer gestutzten Reform die Bresche geschlagen ist, in der die Rechte, einmal am Ruder, das erreicht, was sich selbst Sarkozy nicht traute. Die Rechtsradikalen (Le Pen) als schlimmste Variante im politischen Spektrum profitiert davon. Sollten die Sozialisten abgestraft und die Linksfront nicht stärker werden, droht das Debakel einer Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: Rechts gegen rechtsradikal. Wie – schon einmal – gehabt. Umso wichtiger ist die Diskussion und sind die Aktionen der Jungen. Sie brauchen eine neue, gerechtere Welt.


Drei Szenen aus Toulouse:

Jugend besetzt Mc Donald: Es beginnt auf dem großen Rathausplatz von Toulouse. Nach einer kurzen Bestimmung der Nachtordnung (es geht um die Nacht-aufrecht, bilden sich Arbeitskreise. Vor der Kulisse des Prachtbaus aus dem 18.Jhd (Rathaus, Oper) sitzen sie am Boden und diskutieren nach spanischem Muster. Wer mit die beiden Hände drehend in die Luft hält, ist für eine Sache, wer die Arme überkreuzt, möchte dem Redner das zu lange Wort kürzen… Es geht um Aktionen. Die Nachbargruppe debattiert über polizeiliche Repression, die dritte über die Rolle der Frauen, eine vierte über die Herkunft des Geldes. Der Vorschlag, Mc Donald, Symbol des Kapitalismus, zu besetzen, findet in der Aktionsgruppe Zustimmung. Wann, wie und wo – das soll eine kleine Gruppe wegen des Überraschungseffektes gesondert klären und auf elektronischem Weg mitteilen. Smartphone als Waffe. Es klappt, man ist einige Tage später drin. Natürlich ruft der – lächerlich bezahlte – „Manager“ von Mc Donald die Einsatztruppe der Polizei. Sie stürmt die Hamburger-Bude, Personalien werden festgehalten, es wird von beiden Seiten gefilmt, und siehe da: das Glasfenster am Eingang wird von Polizisten eingeschlagen. Minuten später geht die Szene durch die sozialen Netzwerke. Schlecht gelaufen, denn die Jugendlichen wussten sich zu benehmen.
 












Zwei Stunden am Bahnhof von Toulouse: Die Bahnangestellten und Aktivisten von CGT und SUD Rail versammeln sich um fünf Uhr morgens. Zwei Stunden sollten keine Züge und Busse fahren. Polizisten stehen bereit, greifen aber nicht ein. Man entdeckt die Einsatzleiterin. Eine Demonstrantin bemitleidet einen gut trainierten Polizisten der Sondereinheit. Er höre wohl auf das Kommando dieser kleinen Frau hinter dem Baum. Er grinst, die Atmosphäre ist entspannt. Auch die Busse kommen nicht heraus. Die spanischen Fernbusfahrer äußern Verständnis für die Forderungen. Bei ihnen zu Hause sei das gleiche passiert, ein „Diktat von Merkel“. Sie werden sich noch etwas hinlegen und es wäre nett, wenn man sie nach dem Ende der Aktion wecken würde. Derweil wird an anderer Stelle heftig diskutiert, bis die Strecken von der gewerkschaftlich geführten Einsatzleitung freigegeben werden.






Zurück zum Rathausplatz. Vor der Oper (Théâtre du Capitole) gibt es einen Auflauf. Eigentlich sollte Rossinis „Die Italienerin in Algier“ gespielt werden. Die Bühnenarbeiter/innen machen aber einen Strich durch die Rechnung und besetzen Haus und Fenster. Unten klatschen viele Beifall. Ein Opernangestellter erklärt, heute werde aus der Oper nichts, man könne sein Geld zurück bekommen. Die ironische Forderung am Fenster: „Trennung von Staat und Wirtschaftsverband“ in Anspielung auf die Trennung von Staat und Kirche. Auch die Bühnenarbeiter/innen sind in ihrem prekären Arbeitsverhältnis bedroht. Ein älterer Herr schimpft. Warum gebraucht er das deutsche Wort „große Sch…“? Ich hatte mich nicht geoutet, also muss er es gelernt haben, als Deutsche die Stadt besetzten. Seine Frau möchte ihn wegziehen, während er die Lösung hat: „Für was haben wir die Polizei?“ Die aber regelt den Verkehr.


 



Text und Fotos von Fritz Schmalzbauer, ver.di-Bildungsbeauftragter Bayern/Bezirk München , derzeit in Toulouse. Die Infoblog-Redaktion dankt dem Autor ganz herzlich für den Artikel.




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