- oder vom Weltinnneraum der Zipfelhaube
Wir Bayern sollten uns gelegentlich selber zuhören: zum einen, wenn wir Blödsinn verzapfen; zum anderen, wenn wir unsere Hymne singen. Soweit bekannt ist sie - in ihrer Nachkriegsfassung zumindest - die einzige, die über die nationale Selbstbeweihräucherung hinaus einen universalen Menschenrechtsanspruch formuliert: "Gott mit uns und Gott mit allen, die der Menschen heilig Recht treu beschützen und bewahren von Geschlechte zu Geschlecht." Immerhin in einem Punkt scheinen unser Landesvater und seine Zündlerunion diese Worte zu beherzigen: wer anderen hilft, die Not leiden, bleibt im Ernstfall auf himmlischen Beistand angewiesen; mit ihrer Unterstützung jedenfalls braucht er nicht allzu sehr zu rechnen.
Hier schlägt die verblasene Protestinterpretation der christlichen Anthropologie im christsozialen Parteiprogramm durch: wo Liberalität und Menschenwürde unter dem vielsagenden Titel der >Eigenverantwortung< auf seltsame Weise zugleich garantiert und einkassiert werden. Getreu dieser Eleutherologie der Ausgrenzung und Responsiblität allvor dem eigenen Wohlstand lokalisiert mancher im Freistaat jetzt auch betreffs Immigration die Obergrenze des Humanen ziemlich genau dort, wo es beginnen müsste - bzw. nach unten irgendwie nichts mehr geht. Doch was für den echten weisblauen Patrioten zweifellos das Schlimmste ist: die meisten übrigen sind auch nicht besser - sie haben nur keine so schöne Nationalhymne.
Unlängst schrieb ein vielgelesenes Wochenmagazin, die Flüchtlingspolitik unserer Bundeskanzlerin werde im Ausland zunehmend kritisiert - und zitierte keinen geringeren als Mr. Giant Wall, der in solchen Fragen bereits internationale Autorität zu genießen scheint: Yankee doodle, guard your coast - lautet die Devise! Dass indes Merkel-Deutschlands generöse Willkommensgeste (so gut sie unzählige anständige und hilfsbereite Nicht-Horste unter uns auch meinen) Teil einer Außenpolitik ist, bei der es einmal mehr darum geht, sich innerhalb der Europäischen Union als Hegemonialmacht zu profilieren, sieht in unseren Nachbarstaaten wohl jeder - allein dem alten Michel dürfte seine Schlafmütze mittlerweile vollends über die Augen gerutscht sein.
Jetzt glaubt der Ärmste gar, an der Innenseite genannter Kopfbedeckung - die ihm als Inbegriff aller Realität gilt - etwas wahrzunehmen, von dessen Unwirtschaftlichkeit und Unerträglichkeit er zutiefst überzeugt ist: das Phantasma des Altruismus. Wurde ihm nicht lange genug gesungen und gesagt, man müsse ein Schwein sein; Sozialmoral und Menschenliebe seien in Fragen der Politik und Ökonomie schlechte Ratgeber, weil im gnadenlosen >struggle for life< der Globalisierung alles darauf ankäme, konkurrenzfähig zu bleiben? - Und nachdem er dies endlich ganz geschluckt und halb verdaut hat, taucht wie aus untergegangenen Märchenwelten eine angelische Lichtgestalt auf und verkündet ihm die humanitäre Frohbotschaft: Wir schaffen das!
Längst nicht mehr der uralte Stiefel, dass Die-da-oben sittliche Ideale vortäuschen, um ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen zu verschleiern, jedoch bringt den besorgten Neidbürger und Radfahrer spätkapitalistischen Zuschnitts in Rage, sondern die Befürchtung, es könnte just umgekehrt sein - und er dürfe die Zeche zahlen: die Perversion der Perversion! Wenn in der linken Gehirnhemisphäre unserer politischen "Mitte" daher die Einsicht aufdämmert, jener barbarische >Furor Teutonicus< gegen Asylsuchende, der heute zum Nachrichtenalltag der Republik gehört, hänge mit ihrer jahrelangen Praxis des Sozialabbaus zusammen, stimmt daran zumindest dies: wir verdanken ihn derselben Gefühlskälte und Schadenfreude. Der profunden Missgunst vieler, die wenig, das andere haben, für alles halten, weil es nicht nichts ist!
Dass die Scheinheiligste Partei Deutschlands verspätet ihr Herz für die Schlusslichter der volkswirtschaftlichen Nahrungskette entdeckt, ehrt sie zwar, wird den unverhohlenen Fremdenhaß weiter Kreise der Bevölkerung aber kaum abschwächen, ihn eher anheizen. Was sich in Bautzen und Clausnitz ereignete, war kein verkappter Klassenkampf, sondern eine sozialdarwinistische Eruption. Es sind mehrheitlich weder Opfer noch Gegner, sondern
dieselben Freunde und ehernen Säulen gesellschaftlicher Ausgrenzung, welche nun laut und tätlich werden, auf deren exklusiven Egoismus und Narzißmus die Scheinheiligste Partei Deutschlands zählen konnte, als sie zu Jahrtausendbeginn jene schäbigen "Reformen" durchdrückte, die sie nach Ansicht ihrer zynischen GroKo-Partnerin jetzt nicht plötzlich bereuen sollte.
Wer nämlich glaubt, er könne mit dem Teufel paktieren und ihn hinterher um seinen Lohn prellen oder (wie schon einmal fälschlich angenommen) in die Ecke stellen, bis er quietsche, der irrt: ein sozialer Zusammenhalt, den man über Jahre gezielt untergraben hat, lässt sich nicht beliebig abrufen - da hülfe es wenig, den Zu-kurz-Gekommenen ein paar Brocken vorzuwerfen. Die all den demagogischen Mist vom in dekadentem Luxus schwelgenden >Sozialschmarotzer< oder >Asylschmarotzer< gefressen haben, sind das Problem, nicht die all das ausbaden. Kurzum: des alten Michels enge Horizonte sind das Problem, weil er den Sloterdijkschen >Dingsbums des Kapitals< mit dem Weltinnenraum der Zipfelhaube verwechselt, die ihm über die Augen - ja eigentlich nicht gerutscht ist, sondern gezogen wurde.
Wie also, wenn unsere >Etablierten< tatsächlich Mut zu (am eigenen Populismus gemessen) unpopulären Entscheidungen aufbrächten? - Schon Luther wußte: "Wer mit eim Dreck rammelt, er gewinne oder verliere, so gehet er beschissen davon." Statt mit mehr oder minder faschistischen und rassistischen Eutopien á la >Festung Europa< herumzuexperimentieren, täten sie folglich besser daran, es mit Solidarität und Sozialismus zu versuchen. Und sollte auch hierbei einigen Wählern das Original lieber sein als die Kopie, wäre das - nebenbei bemerkt - kein Beinbruch.