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Blattschuss - oder die Moral in der Wirtschaft

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Ach, wo sind nur die guten alten Zeiten geblieben, als Religion noch das Opium des Volkes war? Damals wurden wir von der Geistlichkeit auf das Himmelreich vertröstet – das hatte zumindest den Vorteil, dass man sich in Bezug auf diese schnöde Welt keinen großen Illusionen hinzugeben brauchte.

Heute hat die Kirche ihren Gläubigen dagegen einen weniger berauschenden Cocktail anzubieten: die katholische Soziallehre! Ihr größter Vorzug besteht – nebenbei bemerkt – wohl darin, dass es sie gibt. Denn dies bewahrt uns Katholiken nicht nur vor Elaboraten wie Frau Margot Käßmanns Mehr als Ja und Amen, sondern führt mitunter sogar dazu, dass jemand sich ernsthaft mit ihr (der Soziallehre, nicht der Frau Käßmann) auseinandersetzt. Wer hierbei nicht im Vorfeld kapituliert, wird am Ende zwangsläufig so oder so bei Marx landen. Freilich nicht überall, wo >Marx< draufsteht, ist auch wirklich Marx drin – doch die Chancen stehen immerhin fifty-fifty, dass man richtig liegt.


Dem traurigen Rest wird um der Kredibilität des Kredos willen nicht mehr das Jenseits schmackhaft gemacht, dafür jedoch ein Diesseits, welches nun bitteschön – und hier beginnt die Sprache des Klerus zuweilen, recht markig zu werden – gefälligst in Dreigottesnamen endlich anders und besser zu werden hat. Wo früher noch Hoffnung auf ewige Glückseligkeit war, darf man heute hoffen, dass Tugendappelle an Politiker und Ethikkurse für Manager langsam mal fruchten, weil es sonst nicht nur mit der Menschheit ein schlimmes Ende nehmen könnte, sondern womöglich sogar mit dem Kapitalismus.


Die Moral in der Krise 

Nach dem Finanzcrash vor fünf Jahren hat es kaum einen Tag gedauert – und schon waren die Marktschreier des freien Marktes dabei, unisono die Gier der Banker und Bosse zu geißeln, als hätte das neunschwänzige Flagellum horribile dafür seit Jahren in der Schublade bereitgelegen. – Schließlich ist es ja auch einfacher und bequemer, zu sagen, Kapitalismus sei totalsuperprima – und werde bloß durch ein paar allzu profitorientierte Kapitalisten versaut, als gleich das ganze System in Frage zu stellen.

Es fällt nicht leicht, zu beurteilen, wer hier bei wem auf dem Trittbrett mitfährt, aber deutlich erkennbar ist, dass sich Herr Kardinal Marx, der zur Zeit als so eine Art Ayatollah der katholischen Soziallehre gilt, mit seiner Argumentation in eine recht ähnliche Richtung bewegt. Wer sein Buch Das Kapital liest, könnte meinen, wir alle dürften – von jetzt bis in die Tage des Arbeiterbischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler – auf eine einzige lange Erfolgsgeschichte zurückblicken, in der den Kapitalismus samt Überbau kaum noch eine andere und größere Sorge umgetrieben hätte, als geleitet von christlichen Humanitätsvorstellungen am Neuen Jerusalem zu basteln.

Nur sei halt leider Sand ins Weltgetriebe geraten, weil ein paar vom rechten Pfad solidaristischer und sozialstaatlicher Tugenden abgekommene Subjekte sich irgendwo und gottweißwie mit dem Virus einer gänzlich abnormalen und atypischen, ja nahezu extraterrestrischen Habsucht infiziert hätten. Also ist ja völlig klar, was wir brauchen, um die Welt zu retten – genau das, was schon Adam und Eva gebraucht hätten, um sich und der Menschheit den Sündenfall zu ersparen: Moral! Mit dem Unterschied allerdings, dass den Kapitalisten ganz offenbar ein höheres sittliches Selbstheilungspotential zugetraut wird als den Ureltern des Menschengeschlechts, die ihrer Verfehlung wegen für immer aus dem Paradies weichen mussten – wogegen ein Exodus aus dem Eden der Marktwirtschaft keinesfalls in Betracht kommt.


Die Moral in der Insolvenz

Ob dem sonst blitzgescheiten Sozialayatollah je aufgegangen sein mag, dass er das Buch wahrscheinlich gar nicht hätte schreiben müssen, wenn sein Rezept in der Vergangenheit wirklich funktioniert hätte, bleibe dahingestellt. Fest steht: es funktioniert nicht, hat nie funktioniert, wird nie funktionieren. – Und so schrecklich dies ist, liegt eine gewisse Ironie darin, dass nun im Fall der Weltbild-Insolvenz ausgerechnet ein Dutzend katholische Bischöfe durch das eigene Beispiel demonstriert haben, wie sehr eine Wir-haben-uns-alle-lieb-Doktrin, die realiter wohl gerade mal hinreicht, den nächsten Kirchenbasar zu organisieren, an der Realität (vermutlich sogar an der ihrer eigenen systembedingten Zwänge und Ängste) insgesamt vorbeigeht.

Wenn jedenfalls das, was Herr Kardinal Marx in seinem Buch Das Kapital vertritt, die katholische Soziallehre ist, dann haben ihr seine Amtsbrüder mit der Entscheidung, Weltbild samt den dort Beschäftigten fallen zu lassen, einen sauberen Blattschuss verpasst, wie ihn besser keiner ihrer Kritiker hingekriegt hätte. Wer nämlich predigt, dass Wirtschaft ohne Moral schlecht klappen kann, sollte sich selbst eine leisten.  Doch im Episkopat gibt es offensichtlich nicht nur präzise Preisvorstellungen, wieviel man für so eine Moral hinblättern darf und wieviel nicht, sondern die Schmerzgrenze liegt dabei auch noch erstaunlich tief.

Die Existenzen mehrerer Tausend Menschen fangen an, ein paar Diözesen im Durchschnitt  jeweils etwas mehr als die Hälfte einer budgetierungstechnisch aus dem Leim geratenen Bischofsresidenz zu kosten – und siehe da: schon haben selbst Gottesmänner statt ihres vielbeschworenen christlichen Menschenbildes plötzlich das viele schöne Geld vor Augen. Aber so weit waren doch schon! Ist das nicht genau das, was jeder sogenannte >Verantwortliche< in der Wirtschaft (wenngleich unter vehementem Protest der Kirche und ihrer Hobbypauperisten) auch tut: dass er sich am Ende nicht für die Menschen in der Verantwortung sieht, sondern für das Geld?

Doch auch diese Verkehrung des Ordo Amoris lässt sich überbieten und wurde überboten. Weltbild – so hieß es von allen Seiten – wäre sanierungsfähig gewesen, die Bischöfe aber nicht sanierungswillig. Nicht einmal dazu waren sie anscheinend also bereit oder mutig genug, um der christlichen Nächstenliebe willen so viel Risiko auf sich zu nehmen, wie andere Kapitalgeber mit weit geringerem moralischem Anspruch in vergleichbaren Situationen allein um des Profits willen eingehen. Dass die Moral erst nach dem Fressen kommt, weiß man ja – aber hier kommt sie gar nicht mehr!


Die Moral auf dem Strich

Ja aber, aber, aber - so argumentierte nun Herr Kardinal Marx und erwies sich dabei in gewohnter Manier als Meister suggestiver Rhetorik - schließlich gehe es hier ja anders als dort um Kirchensteuergelder. Nicht also der Mammon, sondern die Menschen – so wollte er uns damit sagen – lägen seinen Amtsbrüdern am Herzen: nämlich die Kirchensteuerzahler, welche doch unbestritten auch Menschen seien.

Dass es indes der nackte Unsinn war, der hier im Gewand einer fadenscheinigen Verantwortungsethik daherkam, dürfte selbst dem klar gewesen sein, der ihn geäußert hatte. Denn der Witz beim Kirchensteuerzahlen bestand immer schon darin, dass das Geld des Kirchensteuerzahlers, nachdem er seine Kirchensteuer gezahlt hat, nicht mehr seines ist, sondern das der Kirche, an die er es gezahlt hat. Man mag zwar einwenden, für die Bischöfe ergebe sich daraus beim Geldausgeben eine soziale Verpflichtung. Aber auch und gerade jener gefühlten volonté générale des Kirchensteuerzahlers, zu der Herr Kardinal Marx coram publico seine Zuflucht nahm, dürfte mehr an der Rettung mehrerer Tausend Arbeitsplätze gelegen sein als beispielsweise an einem millionenschweren Limburger Architekturkäse, der fröhlich zum Himmel stinkt.

Dass Herr Kardinal Marx es mit >seiner< Soziallehre dennoch sehr ernst meint, hat er gemeinsam mit Herrn Bischof Zdarsa nun wohl bewiesen – und uns Kolleginnen und Kollegen bei Weltbild und Hugendubel hoffentlich auch wirklich geholfen. Aber wer hilft ihm und seinem Kollegen beim Helfen? Damit sind Herr Kardinal Marx und Herr Bischof Zdarsa unter allen, die an Weltbild verdient haben, nach wie vor recht allein!

So bleibt es am Ende bei der Einsicht – und im Weltbild-Fall geben die meisten beteiligten Vertreter der katholischen Kirche weiterhin ein trauriges Exempel dafür ab, dass jener durch tradierte Wertvorstellungen und Gutmenschentum angereicherte Kapitalismus, der ihnen vorschwebt, dem Reich der Utopien angehört: nicht weil der Mensch naturaliter böse wäre, sondern weil er aus den Verhältnissen, in denen er steckt, nicht einfach ausbrechen kann! Was die fromme Seele des Gläubigen und die schwarze Seele des Gierigen nämlich zutiefst verbindet, ist letztlich dies: beide funktionieren – und zwar unter den Bedingungen eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das für christliche oder humane Ideale längst keine Verwendung mehr hat: zumindest keine andere, als sie gelegentlich auf den Strich zu schicken! 


Jürgen Horn




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